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Zwischen falschem Alarm und Hetze

Bündnis Herne am 13. März 2025

Was der Fall der jungen Mutter aus Herne über die Berichterstattung und Online-Kommentare offenbart.

Am 11.03.2025 sorgte die Meldung für Aufregung, eine junge Hernerin migrantischer Herkunft sei von einem Fahrradfahrer von hinten in den Rücken getreten worden. Bei dem anschließenden Sturz sei das Baby, das sie auf dem Arm hielt, mit dem Kopf auf den Boden geschlagen. Während des Angriffs habe der Mann rassistische Parolen gerufen.


Einen Tag später meldeten sich Zeug:innen bei der Polizei. Demzufolge gab es t keinen Angriff. Die Frau hatte ihren Hund am Kinderwagen angeleint. Er zerrte an seiner Leine, dadurch fiel der Kinderwagen um

.

Was uns in der Folge in den sozialen Medien aufgefallen ist, fassen wir hier einmal zusammen.


Wir sind entsetzt über die emotionale Verwahrlosung, die aus vielen Kommentaren u. a. bei WAZ, HalloHerne und auf unserer eigenen Seite spricht.

Wir geben sie hier nicht wieder.

Wie erhaben sich manche Menschen aus der sicheren Distanz an ihrer Tastatur fühlen! Als hätten sie selbst noch nie einen Fehler gemacht.

Ja, die junge Frau hat einen großen Fehler gemacht: Sie hat die Polizei in die Irre geführt und sie hat dazu beigetragen, dass wirklichen Opfern von (rechtsradikalen) Gewaltakten weniger Glauben geschenkt wird.

Aber: Niemand von uns weiß, was sie zu dieser Falschaussage veranlasst hat.

Vielleicht stand sie aufgrund des Unfalls unter Schock, das Baby ist schließlich erst zwei Monate alt. Vielleicht hat sie sich geschämt für ihren Fehler, den Hund am Kinderwagen angeleint zu haben. Vielleicht hatte sie Angst vor der Reaktion ihres Mannes und ihrer Familie, vielleicht auch vor dem Eingreifen von Behörden (z. B. Jugendamt). Vielleicht hat sie im ersten Reflex die Geschichte vom Fahrradfahrer erzählt, um von ihrer eigenen Schuld abzulenken, und dann hat sich die Geschichte verselbständigt.

Solange wir das alles nicht wissen, gebietet es der Anstand, zumindest nicht von Böswilligkeit auszugehen.

In einigen Kommentaren wurde uns vorgeworfen, dass wir der jungen Frau viel Kraft für den erwartbaren Shitstorm wünschen. „Verständnis“ ist aber etwas anderes als „Zustimmung“.

Und Empathie, gerade auch für diejenigen, die einen Fehler gemacht haben, ist keine Schwäche, sondern Stärke.

Insofern nehmen wir den Vorwurf als Kompliment, denn dann haben wir alles richtig gemacht!


Wir wurden mehrfach beschuldigt, uns undemokratisch zu verhalten, weil wir unter unserem Statement auf unserer eigenen Facebookseite Kommentare löschen und Nutzer:innen blockieren.

Es ist erschütternd, dass wir immer wieder das Prinzip der Meinungsfreiheit und ihrer Grenzen erklären müssen.

 

Unser Vorgehen ist ganz und gar nicht undemokratisch: Wir löschen keine Kommentare, nur weil sie nicht unserer Meinung entsprechen. Wir löschen Kommentare, die allem widersprechen, was wir unter „guten Umgangsformen“ verstehen. Das ist wie zu Hause: Wer beleidigt oder hetzt, fliegt raus. Und nein: „Ab in den Flieger mit der Frau“ ist keine Meinung, sondern Hetze.

Unsere Facebookseite ist kein öffentlicher Raum, sondern sozusagen unser „Wohnzimmer“, in dem wir über die Regeln des Umgangs miteinander entscheiden.

Das schränkt die Meinungsfreiheit dieser Personen kein bisschen ein, denn sie können ihren verbalen Müll ja immer noch an anderer Stelle abladen, z. B. auf ihrer eigenen Seite.


Einmal mehr fällt uns in diesem Zusammenhang auf, wie wenig sich die lokalen Medien, hier besonders die WAZ, teilweise um ihre ethische Verantwortung scheren.

Immerhin gelten die Medien als vierte Säule der Demokratie – neben Legislative, Exekutive und Judikative.

Bis zum 13.03.2025, 16:20 Uhr, gab es unter dem WAZ-Artikel zu dem vermeintlichen Angriff und dem Update über 7.000 Kommentare, die meisten davon an Häme und Widerwärtigkeit nicht zu überbieten. Die wenigen empathischen Kommentare, in denen die Motivation der jungen Hernerin hinterfragt wird, bekommen eher Lach-Emojis als Zustimmung.

Uns ist klar, dass mediale Reichweite für Zeitungen und andere Medien eine wichtige wirtschaftliche Kennzahl ist. Dennoch sollten die Medien bei solchen Eskalationen wirklich die Kommentarfunktion abschalten, um eine Eskalation der Diskussion zu verhindern, denn in der Sache tragen die wenigsten der Kommentare etwas bei.

Stattdessen werden in den Kommentarspalten unwidersprochen Ressentiments gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen bedient. Diese in großen Teilen rassistische Stimmungsmache greift die Parolen der AfD auf und setzt sie in den Medien fort.

Mitlesende und -schreibende aus der AfD-Blase fühlen sich bestätigt, sie werden in der Folge immer hemmungsloser, manche fühlen sich berufen, die Hemmungslosigkeit auch im öffentlichen Raum auszuleben. Der Rest der Mitlesenden wendet sich mit Grausen ab und zieht sich aus Diskussionen zurück.

Damit tragen die Medien erheblich zum Erfolg der AfD bei, den sie anschließend mit Krokodilstränen bedauern.

Wir appellieren insbesondere an die WAZ, sich ihrer Verantwortung nicht nur in der Berichterstattung, sondern auch in der Moderation der Kommentarspalten zu stellen!


Was folgt für uns daraus?

Wir stehen fest zu unserer empathischen Haltung, denn jeder Mensch hat verdient, gesehen und gehört zu werden – mit all seinen Stärken und Schwächen. Wir lassen uns nicht davon abbringen, differenziert auf Vorfälle und die Berichterstattung zu schauen, auch wenn dies für manche Zeitgenoss:innen offenbar zu komplex ist.


Zum Abschluss zwei Zitate zum Thema „Empathie“:

Elon Musk: „Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie.“

Hannah Arendt: „Der Tod der menschlichen Empathie ist eines der frühesten und deutlichsten Zeichen dafür, dass eine Kultur gerade in Barbarei verfällt.“

Wer wollt ihr sein? „Team Elon Musk“ oder „Team Hannah Arendt“?

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