Bündnis Herne am 15. Januar 2022
Ok, der Anlass ist bekannt: Die Demonstration der immer noch namenlosen Gruppierung vor dem Rathaus.
Nur damit wir uns richtig verstehen: Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Es gilt selbstverständlich für Menschen mit den unterschiedlichsten Themen und Ansichten. Es ist nicht das Ziel des Bündnis Herne, andere, Meinungen zu unterdrücken. Die gilt es in einer Demokratie auszuhalten.
Allerdings beinhaltet die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht den Anspruch auf Widerspruchsfreiheit. Den Widerspruch gilt es dann natürlich genau so auszuhalten, das gehört zur Demokratie nämlich auch dazu.
Die Demo am Rathaus steht unter dem Titel „Zusammenhalt statt Spaltung – Für Grundgesetze und Freiheit, gegen Zwang und die Ausgrenzung von jeglichen Angeboten des Lebens“.
Sie richtet sich gegen „2G“, gegen die Verknüpfung des Impfstatus mit der Gewährung von Grundrechten, es geht auch um den Schutz der Kinder „vor Übergriffen des Staates“ und gegen die Impfpflicht.
Sicher sind dies für sich genommen Themen, zu denen man unterschiedliche Positionen haben und die man im Rahmen einer politischen Versammlung im öffentlichen Raum vertreten kann.
Wer unsere jüngsten Veröffentlichungen (z.B. den aktuellen Flyer) gelesen hat, weiß:
Wir sind ganz sicher keine unkritischen Verfechter:innen aller bisher verhängten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Zu diesem Thema gibt es innerhalb des Bündnis Herne ganz unterschiedliche Ansichten, und das ist auch gut und richtig so!
Insofern stehen wir hier ganz sicher nicht als „Maßnahmenbefürworter“ gegen „Maßnahmengegner“ – ich finde dieses Begriffspaar ohnehin furchtbar, aber dazu vielleicht bei anderer Gelegenheit mehr.
Es kann auch gar nicht die Aufgabe des Bündnis Herne sein, für oder gegen bestimmte Maßnahmen einzutreten, auch wenn wir die Impfung grundsätzlich als Akt der Solidarität betrachten.
Denn: So harmlos, wie die Demo vorm Rathaus sich gibt, ist sie nicht.
Unter dem Deckmantel des „kritischen Hinterfragens“ wird nämlich einfach pauschal alles Mögliche in Frage gestellt, und wo man schon mal dabei ist, das ganze System gleich mit.*
Die Ablehnung der Impfpflicht wird im Aufruf zur Demo z.B. damit begründet, dass „die Substanzen noch nicht hinreichend erprobt“ seien. Im Zusammenhang mit dem Schutz der Kinder werden diese Substanzen als „experimentell“ bezeichnet.
Daraus spricht mindestens ein massives Unverständnis für die Prozesse bei der Entwicklung eines Impfstoffs wie auch ein großer Unwille, sich mit den zugegeben komplexen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Dies setzt sich bei anderen komplexen Zusammenhängen fort.
Die Organisation erfolgt weitgehend in entsprechenden lokalen Kanälen auf Telegram; die Diskussionen sind z.T. öffentlich einsehbar – dort findet sich eine erschreckende Melange aus Politikverdrossenheit bis hin zu einem tiefen Demokratiemisstrauen, gepaart mit einem sehr egoistischen Freiheitsbegriff, alles vor dem Hintergrund einer wilden Mischung von Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen.
Das erleben wir auch in Diskussionen, die sich am Rande der Demonstrationen (samstags) und „Spaziergänge“ (montags) ergeben: Es wird z.B. von „absichtlichem An-die-Wand-fahren der Wirtschaft“ schwadroniert, andere Menschen brauchen keine drei Sätze, um von der Ausgrenzung Ungeimpfter zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich zu gelangen.
Und da haben wir noch nicht einmal über das fragwürdige Verhältnis dieser Demos zum Rechtsextremismus gesprochen (nur weil es uns immer mal wieder unterstellt wird: Nein, wir betrachten nicht alles als rechtsextrem, was nicht mindestens so links ist wie wir).
Darauf aufmerksam gemacht, dass in ihren Reihen stadtbekannte Rechtsradikale mitlaufen, erfolgte nicht etwa eine Distanzierung – nein: So lange alle, die dort mitlaufen, gegen die Impfpflicht sind, sei die sonstige politische Ausrichtung egal!
Und – last but not least – ganz vorne mit dabei: Vertreter der Herner AfD. Dass wir diesen Umstand sehr kritisch betrachten, brauche ich wohl nicht noch weiter auszuführen.
Unser Motto lautet immer noch „Mitreden. Mitmachen. Miteinander“.
Voraussetzung für das „Miteinander reden“ ist allerdings, dass die Gesprächspartner:innen sich zumindest auf der selben Realitäts- und Faktenebene befinden und ein ähnliches Verständnis von Rechten und Pflichten in einer Gemeinschaft haben. Und da sehen wir sowohl bei den Demonstrationen samstags wie auch bei den so genannten „Spaziergängen“ montags erhebliche Defizite.
Wir stehen hier wie 2019/2020 für den Zusammenhalt der demokratisch und solidarisch gesinnten Zivilgesellschaft.
* Nachtrag: Während ihres Demozuges am 15.01.2022 beschallten die selbst ernannten „Maßnahmenkritiker“ die Bahnhofstraße mit Durchsagen aus einer mobilen Box. Es war u.a. von den „Regierungsmarionetten der Pharmaindustrie“ die Rede, von der „Gesundheitsgefährdung durch Maulkorbzwang“ und vom „gefährlichen Impfgift“. Die Pandemie wurde als „erfunden“ bezeichnet, Coronaviren seien nicht gefährlicher als Erkältungsviren.
Diese Durchsagen kamen vom Band und erinnerten an die, die schon bei den Autokorsos im Frühjahr 2021 zum Einsatz kamen. Sie scheinen im „Querdenken“-Umfeld produziert und breitflächig verteilt worden zu sein.