Knut Szmit am 6. März 2022
Ich habe bis vor kurzer Zeit nie den Antrieb gehabt, mich laut und öffentlich zu äußern und zu positionieren - die durch meine Arbeit, mein Auftreten und mein Handeln offensichtlich nach Außen getragene Haltung schien mir immer Statement genug.
Auch habe ich weder Zeit noch Lust oder irgendeine Notwendigkeit empfunden, irgendjemandem ungefragt meine Meinung mitzuteilen.
Aber jetzt hier, an diesem Ort, den meine Freund:innen in jahrelanger Arbeit zu dem Ort gemacht haben der er ist, einem respektvollen, freien, toleranten und liebevollen Ort; hier an dieser Stelle, an dem Ort wo ich wohne, mein ganzes Leben, hier muss ich jetzt Stellung beziehen und dazu sprechen.
In den vergangenen Wochen ist dieser Ort, sind meine Freund:innen, bin ich und ist das wofür wir versuchen einzustehen und das was uns etwas bedeutet, lächerlich gemacht, beschimpft verunglimpft und angeprangert worden. Dafür, dass wir eine Forderung stellen. Eine Forderung, die für das Leben aller
Menschen elementar und nicht diskutierbar sein sollte: Die Forderung nach Solidarität. Und die Forderung einer klaren und strikten Distanzierung von neonazistischem und rassistischem Gedankengut.
Ich bin traurig, nein, ich bin wütend darüber, wie eine kleine Gruppe versucht, den wichtigsten und dabei schwierigsten Diskurs dieser Tage an sich zu reißen, umzudeuten und zu instrumentalisieren.
Wir alle reden, diskutieren und streiten seit mindestens 2 Jahren über diese Pandemie. Und das müssen wir. Wir müssen über das Geschehene reden weil wir sonst damit alleine wären und erstarren müssten vor Angst, vor Wut oder Verzweiflung – Angst, nicht vor Covid allein, auch vor der Ungewissheit, der Unüberschaubarkeit und der Komplexität der Ereignisse.
Diese Pandemie verursacht so gravierende, so beängstigende, so elementare Einschnitte in unserem Leben, in unserer Gesellschaft, dass sie an niemandem von uns spurlos vorübergehen könnten.
Und darum diskutieren und streiten wir miteinander. Gerade hier, gerade an diesem Ort, den wir offen und frei für jeden Menschen, unabhängig von race, Einkommen, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Alter, und Status gestalten wollen. Gemeinsam sind wir seit 2 Jahren auf der Suche. Auf der Suche nach Lösungen oder wenigstens Strategien, mit dem Unbegreiflichen, dem bedrohlichen Unangenehmen - kurz: unserer Angst umgehen zu können.
Ich habe lange geglaubt, diese Form des Umgangs miteinander, diese Solidarität hätte Allgemeingültigkeit. Und für viele von uns, für dich und mich, für euch alle hier – das glaube ich fest – gilt das auch. Und an dieser Stelle könnte ich enden - mich bei Euch bedanken, für Euer Verständnis, eure Empathie und Solidarität, dafür, dass Ihr meine Ängste annehmt, mir zuhört und mit mir gemeinsam versucht, diese Gespräche zu führen, Gräben zu überwinden und den sozialen Sprengstoff zu entschärfen.
Leider aber ist es nicht so einfach.
Nicht, weil sich die meisten Menschen keine Mühe geben würden, es ist nicht, weil wir persönliche Freiheiten solidarisch hinter das Wohl der Gemeinschaft stellen müssen, weil wir Ängste, Sorgen und Zweifel, verschiedene Meinungen und Ansichten haben. Das Problem ist auch nicht, dass wir uns ständig selbst hinterfragen müssen, achtsam sein wollen, wachsam für die Bedürfnisse und den Raum unserer Mitmenschen –
Nein. Das alles ist anstrengend, aber es gehört dazu, dass alles ist wichtig und unabdingbar in einer diversen, toleranten und solidarischen Gesellschaft, wie Wir sie uns wünschen und wie wir sie leben und verteidigen.
Nein! Das Problem ist eine kleine Minderheit, für die diese Sichtweise, diese Gesprächs- und Gedankenkultur, diese Ziele nicht – oder zumindest nicht mehr zu gelten scheinen.
Und ich spreche jetzt von einem Teil, einem Teil dieser Bewegung! Eine laute und beängstigende Minderheit die diesen ganzen Diskurs an sich reißt, umdeutet und instrumentalisiert, um unter dem Deckmantel des Protestes gegen die Pandemie ihr rechtes Gedankengut zu verbreiten.
Und an dieser Stelle werde ich traurig und wütend. Und wir sind traurig und wütend.
Denn eigentlich möchten wir auch diesen Menschen das gleiche Verständnis und die gleiche Empathie entgegenbringen, wie wir sie für uns einfordern und wie wir sie mit unserer ganzen, tiefen Überzeugung vertreten – aber wie? Und wofür? Für Querdenker*innen die sich auf der einen Seite mokieren, als „Nazis“ tituliert zu werden – aber auf der anderen Seite problemlos den Schulterschluss mit Nazis vollziehen.
Ein Blick in die Chatgruppen dieser sog. „Querdenker*innen“ genügt, um festzustellen wessen Geistes Kind diese Bewegung ist. Der gesamte Austausch ist in Ton und Inhalt dermaßen gefärbt, dass es gar kein Vertun gibt, dass diese Bewegung weit, weit über ein konservatives Weltbild hinaus, politisch nach rechts verschoben ist.
Eine Gruppierung die nahezu ausschließlich rechtskonservative, neu rechte, rassistische und faschistoide Inhalte miteinander teilt und verbreitet; eine Gruppierung, die sich auf sogenannte Autoritäten wie den Holocaustleugner und selbsternannten „Volkslehrer“ Nicolai Nerling oder Journalisten „ohne Haltung“ wie Boris Reitschuster beruft, die sie befürworten und unterstützen.
Was soll ich denn über diese Menschen sagen, die sich „Patrioten“ nennen, sich ausbitten das Ausländer*innen sich gefälligst zu benehmen haben in „Ihrem“ Deutschland, die mit Kampfbegriffen wie „Heimatschutz“ hausieren gehen und absurdesten Schwachsinn wie „Nationalsozialisten sind keine Nazis!“ proklamieren?
Diffamierung, insbesondere gegenüber linken, liberalen Gruppierungen sowie
Einzelpersonen und Einrichtungen, Fake News, Verschwörungsmythen und Nazisprech sind keine Randerscheinungen in dieser Gruppierung – sie sind durchgehender Tenor – sie bilden die gesamte Argumentationsgrundlage dieser sogenannten Querdenker*innen.
„Wir sind die rote Linie“ heißt es da zum Beispiel.
Wie ist das gemeint, frage ich mich, wenn sich diese besorgten Bürger*innen darüber echauffieren, das „N-Wort“ nicht mehr laut sagen zu dürfen, dass sie in einer Meinungsdiktatur leben und das die Politiker*innen und wir, ihre sogenannten Gegner*innen, Nazis und Verbrecher sind die eingesperrt oder schlimmeres gehören?
Und zwar nicht aus Zufall oder widrigen Umständen, oder des Zeitgeistes wegen, nein, Ihr seid es aus Absicht und Überzeugung!
Und diese Menschen vereinnahmen den Protest. Einen Protest der gottseidank erlaubt ist. Einen Protest dessen Inhalte ich sicher nicht teile – den ich aber dennoch akzeptiere – aber nicht, wenn er von Nazis, unterwandert, missbraucht und instrumentalisiert wird.
Die Sorge um „die Kinder“, „Diskriminierung und Unterdrückung“, darum, „in der Freiheit beschnitten zu sein“ und in euren „Überzeugungen diffamiert“ - das höre ich von euch?
Was für ein Schlag ins Gesicht aller Derjenigen, die Diskriminierung tagtäglich erfahren müssen! Was für ein Hohn gegenüber jenen, die existenziell leiden, sterben, in dieser Krise! Was für eine Borniertheit gegenüber der Freiheit! Was für eine Missachtung von Solidarität!
Ja, natürlich haben diese Nazis Angst. Aber bestimmt nicht um die Kinder oder die Meinungsfreiheit. Sie rührt lediglich aus der Angst vor dem Verlust von Privilegien. Ihren Privilegien. Ihren Privilegien als weiße Deutsche. „Wer es gewohnt ist privilegiert zu sein – empfindet Gleichheit als Unterdrückung!“ Das ist es, was sie nicht schlafen lässt.
Euer sogenannter Kampf ist kein Kampf um die Freiheit – er bleibt eine Verteidigung eurer Privilegien. Ihr seid nicht „die rote Linie“ – ihr habt eine rote Linie überschritten. Ihr könnt so weiter machen, lügen, hetzen und versuchen, euch in die Mitte der Gesellschaft zu wanzen, aber dann müsst ihr euch gefallen lassen, dass ich Euch Nazis oder mindestens Arschlöcher, egozentrische Arschlöcher nenne.
Und ich werde das nicht, nicht mit diesen Menschen, diskutieren.
Faschist*innen hören niemals auf Faschist:innen zu sein – man diskutiert nicht mit ihnen, hat die Geschichte gezeigt.
Aber, es gibt immer ein aber, unter den Demonstrant:innen, die sich dort sammeln um ihrem Unmut, ihre berechtigten Sorgen und Ängste zu äußern, befinden sich auch Menschen, die mit Sicherheit nicht dieses Gedankengut teilen. Und das verwirrt mich, insbesondere bei Menschen, die ich persönlich kenne und anders eingeschätzt hätte. Ich höre im persönlichen Gespräch immer wieder Beteuerungen, dass man von Nazis unter den Demonstrant:innen und in der Bewegung nichts wisse und nie welche gesehen habe. Und ich möchte das glauben – aber frage mich wie, wie das sein kann, wo es doch so offensichtlich ist! Und dann wehren sich diese Menschen, verwahren, wehren sich mit ihrem Recht und Ihrer Überzeugung, laut und vehement dagegen, mit Nazis in einen Topf geworfen zu werden. Aber für diese Absolution, für diese Unterscheidung gibt es Bedingungen.
Und darum bitte ich Euch, laut und mit Nachdruck um: Gegenrede!
Ich bitte euch um Protest.
Ich verlange eure Empörung.